Donnerstag, 31. August 2017

Im leeren Raum


Mir kommt es vor, als stände ich nun in einem leeren Raum. Fast die ganze alte Möblierung ist rausgeflogen, ganz viel Ballast ist weg. Unsicherheit. Vor allem gegenüber anderen Menschen. Benehme ich mich richtig, anderen Menschen gegenüber? Bin ich zu aufdringlich, zu distanziert, wie komme ich an? Bin ich daneben? Es sind nicht mehr die alten bewertenden Gedanken. Es ist eher ein Erstaunen und Erkennen. Es ist, als würde ich aus einem sehr langen Dornröschenschlaf erwachen.

Mir wird klar, dass vieles in meinem bisherigen Leben ein Handeln aus einem tief empfundenen Defizit heraus war. Die Welt hat mich ständig überwältig. Davor wollte ich mich schützen. Da kommt auch ein wenig Scham hoch, weil ich mein Verhalten (gegenüber anderen) jetzt neu sehe. Vieles in meinem Leben steht auf dem Prüfstand. Selbstmitleid und starke Bedürftigkeit, Angst, Angriff und Trotz, Profiliersucht (Geltungsdrang) und Dominanz, Besserwisserei, Abwehrhaltung, Helfersyndrom, Ablehnung, Trotz, starke emotionale Umschwünge, Kontrolle ausüben .. das ist mir vertraut. Ein ganzes Bündel von Verhaltensweisen, die dazu dienten, mir Sicherheit zu geben, mein mentales Überleben zu sichern und mir (scheinbare) Überlegenheit gegenüber anderen zu geben. Mechanismen, die mir Raum und Zeit verschafft haben und damit die ständige drohende Ohnmacht in Schach hielten. "Es" im Griff zu haben war meine ständige Bemühung.

Vakuum. Ich fühle mich unsicher. Mir ist noch unklar, wie ich mich nun neu "einrichten" will. Wer bin ich denn überhaupt?! Was will ich in meinem Leben haben? Was passt noch? Welche der alten "Möbel" kann ich eventuell noch verwenden?! Ich bin froh, dass ich Menschen kenne, die mich genau "so" mögen und annehmen wie ich war und bin. Auch in der momentanen Phase. Mir hilft gerade das klassische Buch "Wenn Frauen zu sehr lieben" von Robin Norwood sehr. Ich erkenne Muster in meinem Leben, habe viele Aha-Erlebnisse. Werde ruhiger und gelassener dadurch.

Das was ich oben beschreibe, waren alles Strategien eines überforderten gestressten Menschen. Vieles davon erkenne ich heute noch, in viel milderer Form, aber ich verurteile mich nicht mehr dafür. Ich habe so lange in Angst und Stress gelebt. Ich bin immer noch daran, mich davon zu erholen und es ist ok. Und: Ich bin auch nur ein Mensch, ich kann und muss nicht perfekt sein. Ich arbeite nach wie vor an mir. Doch auch das will gelernt sein: Wissen, wann ich genug nachgedacht und an mir verbessert habe und einfach "leben" ....

Meine Stärke zu leben, aus dem Selbstwert und der Fülle heraus zu handeln, statt starr in den alten Abläufen zu bleiben, das ist ein Prozess in dem ich mitten drinstecke. Und den ich (inzwischen) schätzen gelernt habe.

4 Kommentare:

  1. Ach liebe Anne, das hast Du gut formuliert...die Strategien eines überforderten Menschen...genau die hab ich auch alle durch. Und tue es manchmal sicher noch weiter...erkennen, verstehen, überhaupt erstmal benennen können! Soviel wert!

    Deinen ersten Absatz...oh was hab ich mir ein Hirn zermatert: was die anderen denken, wie ich jetzt schauen soll, was sagen, WIE sagen usw. SO anstrengend, so kompliziert...ich habe das (derzeit) abgestreift und bin einfach ich, ohne Hirnkramerei. Ich zeige meine Gefühle, rede, lache oder schweige so wie es eben grad kommt...jetzt fühle ich mich den Menschen und der Welt viel näher...nicht mehr so einsam und abgeschottet...
    den nächsten Schritt, den wünsch ich Dir auch!
    Gutes weitergehen,
    herzlichst

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    1. Hallo Frau Heller

      Danke für deinen Kommentar :) Erkennen, verstehen und benennen -- das ist so viel wert, du sagst es. Bei mir ist es momentan so, dass ich eine Phase der Verunsicherung durchlebe, der Kopf funkt mir noch zu sehr rein. Es ist nicht heftig, aber da muss ich scheinbar noch durch. Hirnkramerei :) gefällt mir, das Wort .. Die Gefühle (wieder) ausdrücken können ... ja, das wünsch ich mir auch. Es kommt wieder, ich weiss es ...

      Danke für deinen Wunsch!
      Lieber Gruss
      Anne

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  2. Liebe Anne,

    Dein Text berührt mich ganz tief. Es ist wohl vollkommen normal, dass man dieses "Gerüst" gerade in schweren Zeiten/Lebensabschnitten auch gebraucht hat, um überleben zu können.

    Wie gut, dass Du das so wertfrei betrachten kannst und in eine Beobachter-Position gewechselt bist. Von dort lassen sich solche Dinge meiner Erfahrung nach besser steuern bzw. "geschehen lassen".

    Sei lieb gegrüsst,
    Clara

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    1. Liebe Clara

      Erst fand ich diese blöde "Leere" so beunruhigend und langweilig. Als würde nun etwas fehlen. Das Erkennen der alten Handlungstmuster fand ich einfach peinlich für mich. "So" bin ich also?! Nach und nach kann ich es einfach stehenlassen. Mir nicht mehr das Hirn deswegen zermartern. Damit mehr Freiheit und Klarheit in mein Leben kommt. Mit der Leere kommt mehr Ordnung in mein Leben. Eine wohltuende Ordnung, die nichts mit der alten Starrheit zu tun hat.

      Lieber Gruss zurück!
      Anne

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